Viele Köche revolutionieren den Brei
Zu Gast in der Coworking-Kitchen Cocina
Die Cocina ist keine Küche wie jede andere. Gründer und kleine Unternehmen haben hier die Möglichkeit, ihr Gewerbe zu betreiben – und im besten Fall groß zu machen, bis die Gewinnschwelle erreicht ist. Auf etwa 50 Quadratmetern Küchenfläche können mehrere Personen gleichzeitig Lebensmittel herstellen, Produkte entwickeln und Ideen umsetzen.
Ein Freitag im November: Lastenfahrräder – umfunktioniert zu Foodtrucks – stehen im Foyer, Gäste löffeln Suppe aus nachhaltigen, essbaren Schälchen, es riecht nach verschiedenen Gewürzen. Heute feiert Kiels erste Coworking-Kitchen in der Alten Mu Eröffnung. Einige der Startups, die ihre Lebensmittel in der Cocina produzieren, bringen heute auf den Teller, was sie im Angebot haben: Authentisch indonesische Gerichte, Hot Dogs aus Bio-Wurst, Sauerkraut und Dunkelbier-Sauce, Chutneys und Fruchtaufstriche aus „geretteten“ Lebensmitteln, Marmelade aus Gartenfrüchten oder indischen Paneer-Käse vom Grill.
„Untereinander kennt man sich hier“, sagt Johannes Lüpke, der zusammen mit Margarete Loll das Unternehmen Jo’s Streetfood gegründet hat. „Wir tauschen uns viel aus, können uns gegenseitig als Testesser nutzen, schubsen uns Aufträge zu und kommen zusammen auf gute Ideen.“ Er garniert seine indonesische Rindfleischsuppe mit ein paar Lauchzwiebelringen und reicht sie über die Theke seines selbst gebauten Lastenfahrrads.
Gründer der Gründerküche
Betrieben wird die Cocina von Marcel Lungershausen – Kompetenz-Allrounder mit Berufserfahrung sowohl in der Gastronomie als auch in der Begleitung von Startups. Diese Erfahrungen sind ihm hier von Nutzen – die Aufgaben von Marcel Lungershausen gehen nämlich weit über die Vergabe von räumlichen Küchenkapazitäten hinaus. Er achtet darauf, dass Synergien genutzt werden und dass eine Vernetzung der Food-Startups untereinander stattfinden kann. Außerdem leitet Marcel Lungershausen diejenigen Mieter an, die nicht aus dem gastronomischen Bereich kommen und denen die Erfahrung in der Nutzung einer gewerblichen Küche fehlt.
Im Innenhof der Alten Mu haben die Aloha Dogs ihren Stand aufgebaut und bieten eigene Hot Dog Kreationen an – ebenfalls auf einem umgebauten Lastenfahrrad. Auf dem Grill brutzelt neben Bio-Würsten auch eine vegane „Wurst“-Variante aus schwarzen Bohnen und Kichererbsen. Vorbild für den revolutionierten Hot Dog ist der „Completo“ – eine Hot-Dog-Kreation aus Chile. „Man arbeitet in der Cocina mit netten Leuten zusammen“, sagt Gründer Julian. „Wir legen alle Wert auf Qualität und Handarbeit und sind gegen die Verschwendung von Lebensmitteln.“ In der Cocina produzieren die Aloha-Dogs-Gründer Hannes und Julian insbesondere vor Events und nach Bedarf.
Aber warum das eigene Unternehmen nicht einfach in der heimischen Küche gründen? Marcel Lungershausen erklärt: „Sobald Lebensmittel für ein Gewerbe produziert werden, muss die Küche bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die das Gesundheits- oder Veterinäramt vorgibt.“ Das sind neben abwischbaren Wänden und Fußböden vor allem Abzug- und Abluftsysteme, bestimmte Lagerungs- und Kühlmöglichkeiten oder auch Personaltoiletten. Die Cocina bietet also nicht nur die Infrastruktur, sondern auch den rechtlichen Rahmen, den Gründer und Kleinunternehmen ohne eigene Küche brauchen.
Ein Raum für alle
„Welcome“ steht in großen Buchstaben auf einer Tafel vor der Cocina. Der Besucher kommt zuerst in einen Gastraum mit zusammengewürfelten Möbeln und warmem Licht. Ein Durchbruch in der Wand trennt den Gastraum vom Hygienebereich der Cocina. Im vorderen Teil steht eine große Kaffee-Siebträgermaschine. Dahinter geht es in die eigentliche Küche: breite Arbeitsflächen aus Edelstahl, verschiedene Kochfelder, Öfen und die Kühlung, an der Wand hängen Pfannen, Kellen und Siebe.
Startups oder kleine Unternehmen können sich mit ihren Geschäftsideen in die Cocina einmieten. Was sie dabei zahlen, ist unterschiedlich. Wie in der gesamten Alten Mu gilt hier ein Solidaritätsprinzip: Neben einem monatlichen Pauschalbetrag, der in jedem Fall anfällt, wird individuell festgelegt, wer sich mit seinem Produktverkauf welche Miete leisten kann. Und falls das gar nicht reicht, werden auch hier Lösungen gefunden – über ehrenamtliche Stunden beispielsweise. Die Zutrittsbarrieren sind nicht hoch: Viele der Mieter haben eine Idee, kommen aber nicht vom Fach. Ziel der meisten ist es dennoch, ein Unternehmen aufzubauen, von dem sie leben können. Ganz neu hat sich Jan Otto mit PANJANS Kimchi in die Cocina eingebucht. Er stellt Kimchi (koreanisches Sauerkraut) in Bioqualität und aus regionalem Anbau her. Anne Zimmermann bietet mit ihrem ROLLADEN – einem mobilen Kaffeemobil – vegane und vegetarische Speisen und Kaffeespezialitäten an. Und auch Slowfood arbeitet in der Cocina, eine Organisation, die für genussvolles, bewusstes und regionales Essen steht.
Im Foyer vor der Cocina füllt Moritz Dietzsch frisch gekochten Fruchtaufstrich in Gläser ab. Als einer der Gründer der „ResteRitter“ ist es ihm ein Anliegen, der Lebensmittelverschwendung den Kampf anzusagen. Zusammen mit seinen zwei Mitgründern rettet er Obst und Gemüse von Händlern und aus Gärten vor der Tonne. „Das sind häufig Lebensmittel, die zum Beispiel kleine Druckstellen haben und deshalb im Großhandel nicht mehr verkauft werden“, sagt Moritz. Die ResteRitter verarbeiten die Lebensmittel je nach Saison zu unterschiedlichen Fruchtaufstrichen und Chutneys. „Das Besondere an der Arbeit in der Cocina ist das Netzwerk und die Community. Und der Ort eignet sich für Veranstaltungen wie unsere Schnibbelpartys.“
Marcel Lungershausen wünscht sich für die Zukunft der Cocina mehr Arbeitsfläche, um noch mehr parallel produzieren zu können und mehr Mieter mit interessanten Ideen und Produkten aufnehmen zu können. Und dazu vielleicht laborähnliche Voraussetzungen, um in interdisziplinären Teams auch Produkte entwickeln zu können. Ergänzend zur Küche könnten außerdem Schreibtischplätze entstehen – für die Arbeit an Marketingmaßnahmen beispielweise. Marcel möchte, dass die Cocina sich weiterentwickelt und wächst – und dass hier immer neue Ideen und Projekte entstehen. Ein „Fertig“, so der Gastronom, werde es wahrscheinlich nie geben.